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Kapitel 59: perfekte Klassen

  “30.000 Sil erscheint mir ganz sch?n viel für Informationen über eine Rang 1 Klasse zu sein”, merke ich an. “Du kannst die Summe gerne als meinen guten Willen auffassen. Falls du es wirklich in den zweiten Rang schaffen solltest, k?nnten wir auch in Zukunft hervorragend voneinander profitieren.” Ich bleibe dennoch skeptisch: “Trotzdem erscheint mir mein Wissen nicht so viel wert zu sein.”

  Rina seufzt: “Okay, wie gut kennst du dich mit dem politischen Machtgefüge in Usenia aus?” “Ich kenne mich ehrlicherweise selbst mit den hiesigen Verh?ltnissen nur dürftig aus.” “Dachte ich mir”, erwidert die Magierin leicht genervt. “Stark vereinfacht ausgedrückt kommt alles auf deine individuelle St?rke an. Je st?rker du bist, desto mehr Türen stehen dir offen.”

  “Nehmen wir einfach mal an, du w?rst in mich verliebt und würdest mich gerne heiraten.” Okay, merkwürdiges Beispiel, aber wenn schon jemand freiwillig versucht meinen Horizont zu erweitern, dann h?re ich gerne zu. “ Ungeachtet meiner eigenen Gefühle würde ich so einen Vorschlag augenblicklich ablehnen. Ich würde schlicht und ergreifend keinen Vorteil aus so einer Verbindung für mich oder meine Familie sehen. Sagen wir jetzt aber mal, dass du ein Rang 3 Magier bist, welcher in gewissen Kreisen Anerkennung erlangt hat. In so einem Fall k?nntest du direkt zu meinen Vater gehen und dort um meine Hand anhalten. Im Regelfall müsstest du dich dann in einem Duell beweisen. Gewinnst du die Herausforderung gegen einen Vertreter meiner Familie oder einem anderen Kandidaten, geh?re ich fortan dir. Als Rang 2 w?re meine eigene Meinung in dieser Angelegenheit nicht von Bedeutung.”

  “Würdest du dich denn dann nicht bei der ersten Gelegenheit gegen solch einen Zwang zur Wehr setzen?”, frage ich verwundert nach. Rina schenkt mir ein trauriges L?cheln: “Wie du bereits weisst, geht ein offizielles Duell immer ein systemgebundener Vertrag vorraus. In so einem Dokument k?nnte dann zum Beispiel stehen, dass ich niemals meinem Gatten Schaden werde, mich immer seiner Meinung füge, oder mich gar Hals über Kopf in ihn verlieben werde.” “Das System kann künstliche Zuneigung erschaffen?”, frage ich überrascht. “Ein systemgebundener Vertrag kann dich zu einem lebenslangen Sklaven ohne irgendwelche Rechte machen, dich zwingen deine Liebsten zu t?ten, deine Erinnerungen manipulieren und noch vieles mehr. Solange alle Parteien zustimmen, sind den M?glichkeiten nur wenige Grenzen gesetzt.” “Aber warum würdest du solchen Bedingungen freiwillig zustimmen?” “Oh, meine Familie würde zur Not schon für meine Zustimmung sorgen. Das Wort “Freiwilligkeit” ist für das System ein Recht schwammiger Begriff. Solange am Ende beide Seiten von solch einer Abmachung profitieren, ist der Rest beinahe egal.”

  Fassungslos starre ich die Magierin an. Rina zuckt aber nur kurz mit den Schultern: “So laufen die Dinge nunmal. Solange du der St?rkste bist kannst du dir mithilfe des Systems jede Frau, jedes Stück Land und unvorstellbaren Reichtum unter den Nagel rei?en. Aus diesem Grund tobt zwischen den gro?en Familien ein permanenter Kampf um Macht und Einfluss. Der Schlüssel, um m?glichst viele Ressourcen für sich und seine Angeh?rigen zu sichern, sind perfekte Klassen. Das hier”, wobei Rina auf den Papierstapel zeigt, “sind Daten welche jede Familie erhebt und pflegt. Anhand verschiedener Faktoren wird dann individuell entschieden, welche Pfad das jeweilige Kind einschlagen wird. Ich bin Teil einer Familie von Feuernutzern, bei der magisches Talent festgestellt wurde. Folglich wurde ich zur Feuermagierin erzogen. Schon mit zehn Jahren standen alle Fertigkeiten fest, welche ich heute besitze. Mit den bestm?glichen Fertigkeiten und der bestm?glichen Ausrüstung bin ich nahe an dem, was man als perfekte Klasse bezeichnet. Allerdings hat mein Weg einen kleinen Haken.” “Du bist mit einer gew?hnlichen Klasse gestartet”, schlussfolgere ich.

  Rina grinst mich zufrieden an: “Exakt, mit einer ungew?hnlichen Klasse als Startpunkt w?re mein Potenzial um ein Vielfaches gr??er. Allerdings ist es mit den mensch gegeben Voraussetzungen beinahe unm?glich, die erforderlichen Hürden zu überwinden. Bisher sind solche Versuche reines Glücksspiel, welches h?ufig nur Unmengen an Sil, Zeit und wertvollen Materialien kostet. Genau an diesem Punkt werden deine Informationen relevant. Wenn man die Richtung kennt, in die man zu gehen hat, werden die Risiken überschaubarer. Alleine dieser kleine Vorteil ist den richtigen Leuten eine beachtliche Menge Sil wert.”

  Ich lasse das Gesagte sacken und denke über meine M?glichkeiten nach. 30.000 Sil sind eine Menge. Allerdings sieht meine finanzielle Situation momentan ganz in Ordnung aus. Vielleicht kann ich ja mein Wissen gegen etwas anderes tauschen? “Wie w?re es statt dem Sil mit einem Tausch von Informationen?” “Oho, ein interessanter Vorschlag”, bemerkt die Feuermagierin anerkennend, “an was genau hast du dabei gedacht?”

  Ich erz?hle Rina von meinem Ged?chtnisverlust und dem Ziel, mein Zuhause wiederzufinden. Die Magiern legt nach meinem Angebot die Stirn in Falten: “Das ist ein schwieriger Auftrag. Ich sehe zwar kein Problem darin, dir im Austausch bei deiner Suche zu helfen, aber das wird einige Zeit in Anspruch nehmen.” “Von was für einen Zeitrahmen reden wir hier?”, frage ich nach. “Acht bis zehn Monate?”, teilt mir Rina unsicher mit. “Das ist in der Tat ganz sch?n lange”, bemerke ich trocken. “Hast du überhaupt eine Ahnung davon, wie gro? Usenia ist? Au?erdem bietest du nicht gerade viel Material an, was uns bei der Suche helfen k?nnte. Du sprichst weder mit einem Akzent oder verfügst über auff?llige, k?rperliche Merkmale. Lesen und Schreiben k?nnen ist ebenfalls weiter verbreitet, als du glaubst. Die ganze Angelegenheit ist buchst?blich die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Zus?tzlich h?tte der Auftrag keine besonders hohe Priorit?t. Ein besseres Angebot als das kann ich dir leider nicht anbieten.”

  Nach reiflicher überlegung bitte ich die Magierin, sich dennoch der Sache anzunehmen. Selbst geringe Aussichten auf Erfolg sind besser als gar keine. Da meine eigenen Nachforschungen bisher ebenfalls keine Früchte getragen haben, kann es also nur besser werden. Für eine konkrete Spur zu meinen verlorenen Erinnerungen würde ich auch ein Jahr warten.

  Am n?chsten Tag kehre ich in das Warscher-Anwesen zurück, um den Vertrag zu unterschreiben. Im Gegenzug für s?mtliche Informationen über meine Rang 1 Klasse verpflichtet sich die Warscher-Familie nach Hinweisen zu meiner Person zu suchen. Des Weiteren muss Rina über die Erkenntnis meiner ungew?hnlichen Klasse und meines Abweichler-Daseins stillschweigen bewahren. Auch gehe ich sicher, dass keines der sp?teren Dokumente meinen Namen enthalten wird.

  Meine Anforderungen an die andere Seite sind zugegebenerma?en sehr schwammig formuliert, aber konkreter geht es nunmal nicht. In sp?testens zehn Monaten muss ein neues Treffen vereinbart werden, bei dem dann beide Parteien ihren Teil der Abmachung nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen müssen.

  Nach meinen neuesten Erkenntnissen über die Macht eines systemgebundenen Vertrages ein solches Schriftstück nun zu unterzeichnen hinterl?sst ein mulmiges Gefühl. Ein wenig Tinte auf einem schn?den Stück Papier kann Existenzen innerhalb eines Wimpernschlags ruinieren. Allerdings habe ich mir alles mehrfach aufmerksam durchgelesen und sehe keinen Grund von meinem Plan abzuweichen. Ich bin gespannt zu sehen, ob die Warscher-Familie wirklich etwas herausfinden wird.

  Die Angelegenheit mit Rina vorübergehend gekl?rt, kann ich mich nun wieder anderen Dingen widmen. über den Verlauf der n?chsten fünf Monate arbeite ich einen Auftrag nach dem Anderen ab. Marco scheint mich so schnell wie m?glich in den zweiten Rang bef?rdern zu wollen und g?nnt mir deswegen kaum eine Pause. Obwohl die Tage oft lang und stressig sind, mache ich in jeglicher Hinsicht Fortschritte.

  W?hrend mir mein neuer Bekanntheitsgrad Zugang zu besseren Missionen verschafft, arbeite ich in meiner Freizeit pflichtbewusst an meinen Fertigkeiten. Es kostet mich fast einen Monat, bevor ich mich vernünftig mit einem Zapfensplitter-Schuss bewegen kann. Solch einen Zauber w?hrend des Rennens zu erschaffen, bleibt trotzdem eine heikle Angelegenheit. Vor allem gegen W?lfe und Banditen erweist sich die Fertigkeit als ?u?erst effektiv. Keiner scheint mit einem Magier zu rechnen, welcher sich auf kurzer Distanz zur Wehr setzen kann.

  Mit Level 47 schalte ich meinen n?chsten Fertigkeitenplatz frei, welcher mir schon sehr bald gute Dienste leisten wird.

  Neben den Zapfen- kann ich schlie?lich auch meinen Pflockfallenzauber auf Level 2 bringen. Ersterer bietet für einen Aufpreis von vier Mana sechs Schaden pro Splitter mehr, w?hrend Letzterer knackige drei?ig Schaden oben drauf bekommt. Auch erh?ht sich die Dauer der Markierung um eine Stunde, wobei sich die Manakosten von 50 auf 60 erh?hen.

  Die meisten Fortschritte mache ich aber zweifelsohne mit meinem Rindenschild. Zugegebenerma?en ist es auch die Fertigkeit, welche sich am einfachsten leveln l?sst. Wann immer sich die M?glichkeit ergibt, lasse ich einen Bogenschützen auf mein Schild schie?en. Mit einem gr??eren Manavorrat kann ich den Zauber logischerweise auch ?fter wirken, weshalb es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Zauber Level 5 erreicht.

  Die Unterschiede zwischen den jeweiligen Verbesserungen sind enorm. Unabh?ngig von meiner Auswahl bin ich nun aber nicht l?nger an eine feste Schilddauer gebunden. Solange ich über das n?tige Mana verfüge, kann ich meine Verteidigung beliebig lange aufrechterhalten.

  Es f?llt mir relativ einfach, mich für M?glichkeit Nummer drei zu entscheiden. Der Hauptkritikpunkt der erfahrenen Abenteurer aus der Sira-Gilde war, dass ein starres Schild nur einen begrenzten Nutzen hat. Da sich meine bisherigen Erfahrungen mit dieser Einsch?tzung decken, wird es Zeit, diese Schw?che auszubügeln.

  Leichter gesagt als getan. Die Kontrolle über das verbesserte Rindenschild zu behalten ist ein Alptraum. In der Bewegung einen Zauber aufrecht zu erhalten, ist bereits eine Herausforderung. Gleichzeitig aber auch noch besagte Fertigkeit zu steuern, fühlt sich an wie einen dritten, unsichtbaren Arm bedienen zu wollen. Bis ich mein verbessertes Schild vollumf?nglich in einem Kampf einsetzen kann, wird es wohl noch eine Weile dauern. Ob Menschen mit einer perfekten Klasse wohl auch solche Schwierigkeiten beim Meistern ihrer Fertigkeiten haben?

  Vermutlich eher nicht. Selbst wenn, werden solche Probleme wahrscheinlich einfach mit dem n?tigen Kleingeld gel?st. Solange sie sich im Anschluss mit ihren Superklassen nur gegenseitig auf die Schnauze hauen, kann es mir eigentlich auch egal sein. Meine Ziele m?gen zwar wesentlich bescheidener als die der gro?en Adelsfamilien sein, doch auch ich muss für diese Tr?ume schwitzen, bluten und t?ten.

  Welche Fertigkeit soll Torben erlernen?

  


  


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