Wie schlau genau sind eigentlich braune Armeeameisen? Den Berichten zufolge sind es Tiere, die zwar aufgrund von Erfolg und Fehlschl?gen ihr Verhalten anpassen, aber sich dennoch fast ausschlie?lich auf ihre Instinkte verlassen. ?hnlich einem Kind, welches sich zukünftig vor Feuer in Acht nehmen wird, nachdem es sich einmal verbrannt hat. Sp?testens nach den heutigen Ereignissen bin ich mir aber sicher, dass die Ameisen mehr auf den Kasten haben, als wir ihnen zutrauen. Mag vielleicht sein, dass wir ihnen intellektuell überlegen sind, doch bl?d ist die Kolonie bestimmt nicht. Ob mir die Ameisen jedoch verraten werden wo der Schuh drückt, ist eine andere Angelegenheit.
Zurück an der Grenze f?llt uns direkt auf, dass die beiden Erdhügel den Regen nicht überstanden haben. Stattdessen finden wir nun aber an derselben Stelle eine Soldatenameise vor. Ein Exemplar so nah an den Schildern und gleichzeitig auch noch alleine anzutreffen, ist neu. Wir be?ugen uns zun?chst gegenseitig auf sicherer Entfernung. Schlie?lich n?here ich mich dem Tier bis auf wenige Meter. Die Ameise beeindruckt meine Erscheinung wenig. Kein Drohgeb?rden, kein pl?tzlicher Angriff, nichts. Stattdessen weicht mein stummer Zeitgenosse einen Meter zurück. Unter dem Panzer kommt ein gew?lbtes Stück Rinde zum Vorschein. Verdutzt schaue ich zuerst das Insekt und danach meine Kollegen an: “Kommt mal her”, rufe ich ihnen zu.
Klack! Klack! Unverzüglich schnappt die Ameise drohend in unsere Richtung. Meine beiden Kameraden halten überrascht in ihrer Vorw?rtsbewegung inne: “Dein neuer Freund scheint uns nicht sonderlich zu m?gen”, bemerkt Paul trocken. “Bl?de Ameise!”, kommentiert Kurt leicht gereizt. Sowie die Abenteurer wieder ein paar Schritte zurückweichen, beruhigt sich auch das Tier wieder.
Eine durchaus spannende Entwicklung. Behandelt mich das Insekt anders, weil es denkt, dass von mir keine Gefahr ausgeht? Ameisen sollten nicht über Identifizieren verfügen. Wie kommt es also dann zu dieser Schlussfolgerung? Gut, bei meinem letzten Zusammensto? mit seinen Kollegen habe ich freilich kein gutes Bild abgegeben.Vielleicht haben mich die Tiere gestern aber auch irgendwie beobachtet und wissen, dass sich das Objekt ihrer Begierde in meiner Tasche befindet.
W?hrend ich mir so meine Gedanken mache, schiebt die Ameise das Stück Rinde ein Stückchen in meine Richtung und schaut mich erwartungsvoll an. Zumindest bilde ich mir ein, dass sie das tut. Schwer zu sagen bei Augen ohne einen erkennbaren Fokus. Trotzdem werde ich mich hüten, freiwillig in Reichweite dieser Mandibeln zu gehen. Mein Bein mag diesen furchteinfl??enden Waffen für ein paar Sekunden Probleme bereiten, aber meine Hand? Auf so eine Erfahrung kann ich gerne verzichten.
In den folgenden Minuten versuche ich der Ameise klarzumachen, dass sie sich bitte ein wenig von der Rinde entfernen soll. Ein peinliches, wie auch erfolgloses Unterfangen. In meiner aufkommenden Frustration fange ich sogar an mit dem Tier zu sprechen, was unerwarteterweise ebenfalls nichts bringt. W?hrend Kurt den Spa? seines Lebens hat, atme ich einmal tief durch. Eine neue Strategie muss her.
Ich zeige auf die Rinde, dann auf die Ameise und laufe anschlie?end selbst mehrere Schritte rückw?rts. Rinde, Ameise, Laufen, Rinde, Ameise, Laufen, immer wieder pr?sentiere ich dem Tier was ich von ihm m?chte. Und siehe da, nach zwei Dutzend Wiederholungen dieses Trauerspiels weicht die Soldatenameise tats?chlich von der Rinde zurück. Im Endeffekt schaffe ich es, das Tier etwa vier Meter von seinem provisorischen Gef?? zu vertreiben. Eine Lücke, welche der Waldbewohner problemlos innerhalb von Sekunden schlie?en kann. Weiter weg will die Ameise aber offenbar auch nach mehrmaliger Aufforderung meinerseits nicht.
Okay, du bist mir ein Stück entgegen gekommen, also muss ich das jetzt wohl ebenfalls tun. Vorsichtig n?here ich mich der Rinde. Ohne L?ffel l?sst sich der Honig zwar nicht so einfach aus seinem Beh?lter holen, doch mit ein wenig Schütteln platziere ich einen gro?en Klecks in das gew?lbte Gef??. Mein Blick stets auf die Ameise fokussierend trete ich den Rückzug an. Das Tier l?sst mich jedoch unbehelligt auf die andere Seite der Schilder zurückkehren.
Die Soldatenameise krabbelt langsam an den Honig heran und nimmt ihn gründlich unter die Lupe. Antennen werden von hier und da gegen die Rinde gelegt und die mysteri?se Substanz im Inneren aus verschiedenen Winkeln begutachtet. Probieren m?chte sie aber offenbar nicht.
Im Laufe der n?chsten Stunde kommt eine Mischung aus Soldaten- und Arbeiterameisen vorbei, um sich den H?nig anzusehen. Die kleineren Vertreter der Kolonie sind eigentlich recht scheue Gesch?pfe. Sie deshalb aus der N?he beobachten zu k?nnen, ist ein seltenes Ereignis. Vermutlich sind die Biester einfach nur wahnsinnig neugierig. So etwas Leckeres bekommt man immerhin nicht jeden Tag vor die Haustür geliefert. Nach mehreren Kostproben hebt eines der Tiere die Rinde schlie?lich auf und saust damit davon.
über den Verlauf der n?chsten sechs Tage leert sich mein Honigglas stetig. Wie jetzt allerdings der n?chste Schritt aussehen soll ist eine verdammt gute Frage. Da Gesten bestenfalls dürftig funktionieren, versuche ich über Ger?usche eine Art rudiment?re Kommunikation aufzubauen. Einmal klatschen bedeutet ja, zweimal klatschen nein. Mein einziger “Gespr?chspartner” bleibt aber bislang die W?chterameise der Rindenschale. Zwar schaut auch hin und wieder mal ein Mitglied der Arbeiterkaste vorbei, doch mit den schreckhaften Gesellen in Kontakt zu treten, erweist sich als schwierig.
Ich bemühe mich zwar wirklich, doch mein Flei? zahlt sich kaum aus. Natürlich kann der mangelnde Fortschritt auch voll auf meine Kappe gehen. Allerdings bin ich mir inzwischen fast sicher, es nicht jeden Tag mit der gleichen Soldatenameise zu tun zu haben. Gefühlt jeden Tag wieder bei Null anfangen zu müssen, ist frustrierend. Fieberhaft denke ich über m?gliche Alternativen nach, doch au?er dranzubleiben f?llt mir nichts ein.
Ein neuer, ?u?erst nasser Tag bringt jedoch ein wenig Schwung in die Sache. Auf mich warten diesmal nicht eine, sondern direkt drei verschiedene Ameisen. Neben einer Soldaten- und einer Arbeiterameise hat sich sogar ein Mitglied der Schützenkaste an der Grenze eingefunden. Das Gift, welches sie in ihrem aufgebl?hten Hinterteil aufbewahren, k?nnen die Kreaturen bei Bedarf mühelos drei?ig Meter durch die Luft bef?rdern. Stapelbares Gift ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Ein paar Ladungen davon und es ?tzt mir buchst?blich das Fleisch von den Knochen. Was sie wohl von mir will?
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Die Arbeiterameise versteckt sich nach meinem Anblick sofort hinter ihrem stark gepanzerten Freund. Im Gegensatz dazu macht der Vertreter der Schützenkaste sogar zwei Schritte auf mich zu. Heute hat man offenbar die mutigste aller Ameisen an die Front geschickt. Vielleicht ist es aber auch wieder ein Zeichen des guten Willens? Vor dem Fernk?mpfer muss ich bei dieser Entfernung jedenfalls nicht so sehr auf der Hut sein.
Ich übertrete die Grenze und beobachte die drei Insekten still. Tats?chlich wagt die Schützenameise erneut einen Vorsto?. Vorsichtig n?hert sich mir das Tier und h?lt mir ihre Mandibeln entgegen. Erst jetzt sehe ich, dass sie einen kleinen Stein in ihren Klauen h?lt. Etwa ein Geschenk? Tats?chlich l?sst die Kreatur das Objekt in meine offene Hand fallen und gesellt sich danach wieder zu ihren Kollegen.
Okay, jetzt bin ich verwirrt. Warum schenkt mir eine Ameise einen Stein? Laut Identifizieren ist er nicht verzaubert und geh?rt in die gew?hnliche Kategorie. Es sind auch keine Symbole oder Kratzer auf der glatten Oberfl?che zu sehen. Wie überaus mysteri?s. Ich klatsche einmal in die H?nde und lasse den Stein in meiner Jackentasche verschwinden. Vielleicht haben die Jungs ja eine Idee, was es mit diesem Geschenk auf sich haben k?nnte.
Nach zwei Minuten warten schubst die Schützenameise seinen Arbeiterkollegen schlie?lich aus seiner Deckung. Perplex von dem pl?tzlichen Verrat hat es sogar das Stückchen Rinde fallen lassen. Ich knie mich hin, um weniger bedrohlich zu wirken. “Wenn du heute den Honig abholen willst, dann musst du schon ein wenig n?her kommen”, wobei ich das Glas aus meiner Tasche hole. Geduldig warte ich auf die kleine Ameise. Für sie muss die ganze Situation furchtbar stressig sein. Trotzdem hebt sie tapfer das provisorische Gef?? wieder auf und kommt langsam auf mich zu.
Ich halte für einen Moment unterbewusst den Atem an. Kein anderer Mensch war einem Mitglied der verletzlichsten Kaste vermutlich jemals so nahe. Das Tier ist gerade einmal Level 24! Der dünne Panzer bietet in etwa so viel Widerstand wie ein dicker Pullover. Die Mandibeln selbst sind ebenfalls eher zum Transport von Bl?ttern, kleinen ?sten oder Kadavern geeignet. Vor allem Wimmerspinnen jagen liebend gern nach Arbeiterameisen . Auf sich alleine gestellt kann nur ihre Geschwindigkeit sie vor einem grausamen Ende bewahren.
Langsam ?ffne ich das Glas und gie?e ein wenig Honig auf die Rinde. Blo? keine hektischen Bewegungen. Ich verschlie?e das Gef?? wieder und klatsche einmal vorsichtig in die Hand. Unverzüglich flitzt die Ameise davon und ist Sekunden sp?ter hinter den B?umen verschwunden.
Am Abend beraten wir uns zu den Ereignissen des Tages. Leider haben weder Sam, Kurt oder Paul eine Ahnung, was es mit dem Stein auf sich haben k?nnte. Es als blo?es Geschenk abzutun schmeckt mir aber irgendwie auch nicht. Diese Insekten verfolgen mit all ihren Handlungen einen gewissen Zweck. Warum sollte es also mit dem Stein anders sein? Trotzdem machen wir definitiv Fortschritte. Pl?tzlich von einem der Tiere angefallen zu werden, erscheint mir immer unwahrscheinlicher. Die heutigen Ereignisse haben mir neuen Aufwind gegeben. Das Problem der Ameisen in knapp 19 Tagen herauszufinden und zu l?sen, wirkt nicht mehr ganz so unerreichbar.
Die n?chsten beiden Tage finde ich nur noch eine Arbeiter- und eine Soldatenameise vor. Jedoch nimmt auch ohne zus?tzliche Ermutigung das kleinere Insekt von nun an die Ware entgegen.
Heute k?nnte es erneut sehr spannend werden. Wie wird die Kolonie wohl reagieren, wenn sie erf?hrt, dass vom Honig nichts mehr übrig ist?
Der Arbeiterameise scheint diese Tatsache jedenfalls überhaupt nicht zu gefallen. Als ich die gewünschte Ware nicht rausrücke, stupst sie schlie?lich fordernd mit der Rinde gegen meinen Unterschenkel. Ich pr?sentiere ihr daraufhin das leere Glas und klatsche zweimal in die H?nde. Nachdem sich der Rabauke eine Weile lang mit dem Gef?? besch?ftigt hat, schnappt er sogar in kurzen Abst?nden jeweils einmal in meine Richtung. “Jetzt werd mal nicht frech Kleiner. Ich habe halt nichts mehr übrig”, bemerke ich verteidigend. Jedoch l?sst sich die Ameise nicht so einfach beschwichtigen und beginnt an meiner Hose zu knabbern.
Ich rolle mit den Augen und hebe den Waldbewohner kurzer Hand in die Luft. Klack! Klack! Verst?ndlicherweise ist sein Freund davon nicht begeistert. Statt die Soldatenameise aber ebenfalls mit einem Spruch zu beglücken, setze ich den zappelnden Arbeiter einfach in die andere Richtung schauend wieder auf den Boden. Wie vom Blitz getroffen saust dieser umgehend davon. Offenbar habe ich dem kleinen Kerl einen ordentlichen Schrecken eingejagt. Gut so!
Auch am n?chsten Tag versucht man erneut vergebens, Honig von mir zu ergattern. Diesmal ist jedoch die Arbeitervariante ein wenig zurückhaltender, was ihre Forderung anbelangt. Nachdem die kleine Ameise wieder die Biege gemacht hat, lasse ich mich keine zwanzig Meter im Territorium der Armeeameisen nieder. Mein Plan ist ein kleiner Vertrauenstest. Wird die Soldatenameise mich auf ihrem Land tolerieren oder müssen mir Kurt und Paul wie letztes Mal gleich aus der Klemme helfen?
Die Antwort ist ein lautes Klack! Jedoch scheint sich das Tier damit zu begnügen, eine Position zwischen mir und dem restlichen Territorium zu beziehen. Ein deutlicher Beweis für meine Fortschritte. Mehrere Soldatenameisen schauen im Verlauf der n?chsten Stunden auf Patrouille vorbei, doch auch sie ignorieren meine Pr?senz auf ihrem Rasen. Es scheint fast so, als h?tte ich bei den Insekten eine Art Gaststatus erlangt.
Aufstehen, aufwachen, essen, Morgentraining, waschen und schon geht es wieder in Richtung der Grenze. Den Weg k?nnte ich mittlerweile im Schlaf zurücklegen.
Der Anblick vor Ort verschl?gt mir jedoch erst einmal die Sprache. Zweiundvierzig Soldatenameisen haben sich in einer zweigeteilten Blockformation versammelt. Ein Stück dahinter stehen nochmal zwanzig Schützenameisen wie auf einer Perlenkette aufgef?delt nebeneinander. Mein Blick wandert allerdings zu der einzelnen Kreatur, welche sich zwischen den beiden Gruppen positioniert hat. Ein so dunkelbrauner Panzer, dass er schon beinahe schwarz ist. Vergleichsweise kurze, stark angewinkelte Antennen für ein Gesch?pf, das über eine K?rperl?nge von etwa 40 Zentimeter verfügt. Eine von wenigen in einer Familie von gesch?tzten 20.000 Individuen, eine waschechte Magierameise!