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003.1 Familie (Teil 1)

  Wenzels Augenlider ?ffneten sich und er schaute zur Seite bei der trüben Scheibe hinaus. Geschlafen hatte er, wie immer, sowieso nichts und das ?Irgendwie-D?sen“ w?hrend der Fahrt hatte ihn nur noch müder als zuvor gemacht. Gegenüber von ihm sa? Aurel und las ein Buch, auf dessen Einband ?Harald der Furchtlose“ zu lesen war. Es war eine recht bekannte Heldensage, die er wahrscheinlich für den Leseunterricht lesen musste. Wenn er so etwas sah, erinnerte sich Wenzel immer zurück an seine Kindheit. Damals hatten die Hausm?gde ihm immer Heldensagen als Gutenachtgeschichten vorgelesen. Das hatte immer seine Fantasie beflügelt und ihn davon tr?umen lassen, selbst einmal in die Welt hinauszuziehen und so etwas zu erleben.

  Der Wagen knarzte und rumpelte und man konnte jeden noch so kleinen Stein spüren, über den sie fuhren. Einen kurzen Moment blickte Aurel auf und sah, dass ihn sein jüngerer Bruder, der, ebenso wie er, ordentlich herausgeputzt war und seine sch?nsten Kleider trug, anstarrte. ?Gibt’s was?“, fragte er bissig. ?Nein“, kam es, wie immer von Wenzel, nur kurz zurück. Die beiden waren auf dem Weg nach Meglarsbruck. Da heute ein Feiertag war und morgen der Tag des Herrn, also auch frei war, würden sie heute ihre Eltern besuchen. Diese Gelegenheit ergab sich meistens nicht, da es nur seeehr wenige Tage im Jahr von der Schule frei gab. Das Konzept von Ferien oder Urlaub existierte in Ordanien nicht. Gearbeitet wurde das ganze Jahr über, au?er an Feiertagen oder am Sonntag. Somit sahen die beiden nur ganz wenige Male im Jahr ihre gesch?tzten Eltern.

  Die Pferdekutsche, in der sie sa?en, hatte Fenster, bei denen Wenzel die ganze Zeit hinausblickte, aber recht viel bekam er nicht von den Gegenden mit, die sie durchquerten. Unverkennbar war, dass es heuer extrem trocken war und alle Wiesen und Felder vollkommen vertrocknet und braun waren. Im Vorbeifahren waren immer wieder Bauern, die ihre Felder bearbeiteten, zu sehen, aber recht viel konnte Wenzel durch die schmutzigen Scheiben nicht erkennen. Und so schnell, wie die Dinge, an denen sein Blick h?ngengeblieben war, in sein Sichtfeld gerieten, so schnell verschwanden sie auch wieder. Liebend gern w?re Wenzel an vielen Orten einfach mal stehengeblieben und h?tte sich die Gegend angesehen, vielleicht sogar mit den Leuten gesprochen, etwas unternommen. Eigentlich wollte er hinaus und ein Abenteuer erleben!

  Die Fahrt fühlte sich für Wenzel zwar furchtbar lang an, doch waren ein paar Stunden an Fahrtzeit nicht so schlimm. Olemar, also die Stadt in der sich ihr Internat befand, war nur etwas süd?stlich von Meglarsbruck liegend. Nun waren sie schon fast da! Als Wenzel die hohen Türme und die riesige Stadtmauer in der Ferne sah, wurde er ganz aufgeregt und drückte, beim Fenster hinausschauend, die Nase an die Scheibe. Die stetig n?her kommenden Türme der Tempel und und Zinnen der hohen Mauern wurden immer und immer gr??er, bis sie schlie?lich so hoch angewachsen waren, dass er seinen Kopf nicht weit genug nach oben strecken konnte, um deren oberste Punkte zu sehen. Ihr Kutscher hielt den Wagen kurz an, um den Pf?rtnern ihre Papiere vorzulegen. überall um sie herum war ein Getümmel an Menschen in alle Richtungen zu sehen, die ihren Gesch?ften nachgingen. H?ndler, Bauern, Edelm?nner und ganz besonders viele Soldaten, wie Wenzel auffiel.

  Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung und sie betraten die Stadt. Nach der Durchfahrt des Tores waren links und rechts Reihen an riesigen S?ulen mit langen senkrechten Einkerbungen und wundersch?n ornamentierten Kapitellen zu sehen. Beide Burschen konnten sich nicht davon abhalten diese, wie gebannt, zu betrachten. Ihnen war natürlich nicht bewusst, dass noch vor wenigen Jahrzehnten auf jeder einzelnen dieser S?ulen noch wundersch?n gearbeitete Heiligenstatuen geprangt hatten. Jetzt war aber etwas anderes daran zu sehen: An den S?ulen waren lange Fahnen mit dem Symbol des Ordanischen Bundes angebracht. Der schwarze Geif auf goldenem Grund war unverkennbar. Die Kutsche rollte weiter über das holprige Steinpflaster und überquerte die gro?e Brücke über den Duhn, der Fluss, der Metropole von Nordosten her durchfloss. überall waren verschiedene Fahnen und Festschmuck zu sehen und erst jetzt fiel Wenzel auf wie sauber die Stra?en heute, im Gegensatz zu sonst, waren. ?Was wird denn heute gefeiert?“, fragte er Aurel. ?Bin mir nicht ganz sicher. Irgendwas vom Milit?r oder irgendeiner Schlacht“, erwiderte dieser schulterzuckend. Das Gef?hrt setzte seine Reise durch die imposante, monumentale Stadtkulisse fort. Die gro?en Wohn- und Repr?sentationsbauten der ehemaligen Reichshauptstadt waren entlang breiter Alleen gebaut, wo nur die Oberschichten des Landes es sich leisten konnten, sich niederzulassen.

  Die beiden Brüder würden demn?chst zu Hause ankommen. Aus diesem Grund verwies Aurel jetzt nochmal darauf, dass Wenzel sich ja gut bei ihren Eltern benehmen solle und ob er auch nicht die verlangte Etiquette vergessen hatte. ?H?lt er mich für dumm?“, ging es da dem leicht beleidigten Jungen nur durch den Kopf. Schlie?lich kamen sie beim Anwesen ihrer Eltern an und die Kutsche kam zum Stillstand. Der Kutscher klopfte ihnen an die Scheibe und verkündete laut: ?Wir sind da, Jungs!“ Die beiden schnappten schnell ihre Taschen, in denen sie ohnehin nur das Notwendigste eingepackt hatten, und stiegen aus. Es war ein hei?er, wolkenloser Sommertag. Die beiden stiegen die Treppen zum gro?en Eingangsportal empor und klopften mehrmals kr?ftig an. Auf dem Tor war ?Althun“ zu lesen.

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  Eine junge Dame, die die beiden sehr gut kannten, ?ffnete ihnen die Tür. Es war das Fr?ulein Wolke, eine der Hausbediensteten hier. ?Herzlich Willkommen, die jungen Herren! Ihre Eltern warten schon.“ Die beiden traten ein und übergaben ihr Gep?ck der Frau Wolke, welche sie ihnen freundlicherweise abnahm. Ihr L?cheln hob für einen kurzen Moment Wenzels eher gedrückte Stimmung. Die beiden wurden in den Empfangsraum verwiesen. Natürlich wussten sie, wo dieser war: Die zweite Türe, rechts von der gro?en Haupttreppe. Dort begaben sie sich hin und lie?en sich auf der Sitzbank nieder. Kurz darauf betraten schon ihre Eltern den Raum. Ihr Vater, Bertold, war ein kleiner, schmalschultriger Mann, der oft recht protzig und, wie Wenzel es vernahm, arrogant war. In letzterer Hinsicht war ihm Aurel sehr ?hnlich…. Ihre Mutter war eine feingliedrige Frau, die, wie k?nnte man sagten, etepetete war. Ihr Name war Hildegard und sie war meist eher wortkarg.

  Beide Burschen standen auf and stellten im richtigen Abstand nebeneinander hin. Der sonst so laxe Aurel versuchte sich so aufrecht wie m?glich hinzustellen und sein Bruder tat es ihm gleich. Beide verbeugten sich leicht und sagten: ?Grü? Gott, Herr Vater und Frau Mutter!“ W?hrend das vor sich ging, be?ugte sie ihr Vater schon von Kopf bis Sohle. Ihre Eltern erwiderten dann mit einer recht einfachen Begrü?ung ohne viel Federlesen. ?Sohn, gibt es Wichtiges zu berichten?“, wandte sich Bertold an den ?ltesten Sohn. Aurel sammelte eine Sekunde seine Gedanken, stellte sicher, dass er seinem Vater in die Augen schaute, wenn er sprach und antwortete dann: ?Die schulische Situation ist weitgehend unver?ndert, Herr Vater.“ Sogleich holte er schnell einen Zettel aus der Tasche. Es war die ?Schulnachricht“ über die Noten der beiden. Er überreichte sie Bertold und fügte hinzu: ?Mein Notendurchschnitt ist 1,6 und Wenzels ist ….nun ja, suboptimal.“

  Der Herr las die beiden Zettel intensiv durch und schaute sich die Noten genau an. ?Also, ist sind deine Noten im Wesentlichen genauso schlecht wie letztes Jahr“, wandte er sich nun mit sehr ernstem Blick an Wenzel. ?Und das obwohl du mir versprochen hattest, dich zu verbessern.“ Wenzel sank sichtlich in sich zusammen. Er traute sich fast nicht seinen Vater anzusehen. ?Ja. Ich entschuldige mich, Herr Vater. Ich habe mein Bestes gegeben.“ Er blickte hinüber zu seinem gro?en Bruder. Dieser z?gerte einen Moment, bescheinigte ihrem Vater dann aber, dass Wenzel in der Tat gelernt hatte. Bertold schien aber kein Interesse daran zu haben. Er trat n?her zu Wenzel heran, holte aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige! ?Dann bemühe er sich eben noch mehr. Solche Leistungen in der Schule kann ich nicht akzeptieren.“ – ?Ja, Herr Vater“, entgegnete der Junge. Danach wurde Aurel noch kurz und knapp für seine Schulleistungen belobigt. Ihre Mutter stand einstweilen nur daneben und schaute mit ausdruckslosem Gesicht zu. Sie schwieg.

  Darauffolgend setzte sich die Familie zu Tisch im Speisesaal. Als Mittagessen wurde ihnen Hirschragout in So?e serviert. Alle hielten sich an die Anstandsregeln beim Essen, doch es wurde sich auch w?hrend des Mahls unterhalten. Nur wurde versucht sich m?glichst gew?hlt auszudrücken und sich kultiviert zu verhalten. Wenzel hatte kaum irgendetwas zu sagen. Das war eigentlich normal für ihn, aber hatte natürlich auch mit der Disziplinierung, der er soeben erhalten hatte, zu tun. Somit führten prim?r Aurel und Bertold die Unterhaltung am Tisch, jedoch nur über ein paar belanglose Kleinigkeiten. Doch dann brachte Aurel ein Thema zur Sprache, das Wenzel genauso wenig mochte, wie seine Schulleistungen!

  ?Ach, ja, Herr Vater, mir ist noch entgangen, dass Wenzel jetzt einen Freund hat.“ Die überraschung war Herrn Bertold durchaus anzusehen und er fragte: ?Tats?chlich? Wen denn?“ Wenzel schreckte auf und wollte das Thema so schnell wie m?glich beenden, doch er konnte die beiden nicht aufhalten. ?Ein Junge aus Camenia“, gab Aurel preis. ?Er hat aber sehr gute Noten und scheint aus gutem Hause zu sein.“ Ihr Vater rümpfte die Nase und erwiderte: ?Hmm, in dem Fall werden wir uns den Jungen vielleicht einmal anschauen müssen, ob er auch ein geeigneter Umgang für Wenzel ist.“ Wenzel wusste da nicht mehr was er sagen oder tun sollte. Lediglich einer Sache war er sich 100% sicher: Er war fuchsteufelswild auf Aurel! Warum hatte er ihnen das erz?hlt, wo er doch wusste, wie ihre Eltern waren? Warum?

  Als alle fertig waren und das Essen abserviert wurde, informierte sie dann ihre Mutter über etwas. ?Geht jetzt, bitte, nicht in eure Zimmer, ihr beiden. Wir haben kaum mehr Zeit, bis die Parade beginnt. Packt euch zusammen. Wir gehen alle gemeinsam hin.“ – ?Parade? Welche Parade, Frau Mutter?“, fragte Aurel. Doch ihr Ehemann redete dazwischen und antwortete für sie. ?Das wei?t du nicht? Heute sind die gro?en Feiern zum Sieg über den Kascharischen Aufstand im Jahr 441, also vor genau 20 Jahren. Als unser Heer das aufst?ndische Kascharenland endlich wieder befriedete. Das ist eine riesen Sache!“ Er schien überaus begeistert dafür zu sein. Wenig überraschend, da er offensichtlich ein überzeugter Anh?nger der Alethischen Kirche und des jetzigen Herrscherhauses war, was sogar jemandem wie Wenzel auffiel. Somit machten sie sich auf zur Parade.

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