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Kapitel 75: schwarzer Schmetterling

  “Im ersten Schritt haben wir uns im Staatsarchiv die Chroniken von Usenia angesehen”, erkl?rt Rina. “Und was genau muss ich mir unter diesem Begriff vorstellen?” frage ich neugierig nach. Die Magierin schaut mich für einen Moment so an, als h?tte ich nach der Farbe ihrer Unterw?sche gefragt. Offenbar sollte man so etwas wissen. Ich mag zwar in letzter Zeit über solche Stolpersteine weniger gefallen sein, doch hin und wieder kommt es dennoch vor. In zwei Jahren lernen zu wollen, wofür andere Leute ihre ganze Kindheit über Zeit haben, ist schlicht unm?glich. Auch Rina scheint zu einer ?hnlichen Schlussfolgerung gekommen zu sein und schüttelt kurz mit dem Kopf: “Entschuldige meine Reaktion. Ich hatte nur angenommen, dass… egal. Kurz gesagt beinhalten die Chroniken von Usenia eine Aufz?hlung aller Adligen, welche jemals durch unsere Lande gestreift sind. Die eigene Aufnahme in dieses Werk ist eine gro?e Sache. Nur wer in diesem Buch steht, darf sich auch offiziell Adliger nennen und hat Anspruch auf die damit verbundenen Rechte und Pflichten.”

  “Und mein Name findet sich in diesen Chroniken wieder?”, frage ich. “Den Zahn werde ich dir wohl ziehen müssen”, antwortet Rina prompt. “In den letzten zweihundert Jahren gab es zwei Lang-Familien mit einem Adelstitel. Die Erste hat sich unter Antonio Lang schlie?lich ein Fürstentum erk?mpft. Leider war er wohl der einzige ernstzunehmende K?mpfer seiner Familie. Vor gut einhundertundzwanzig Jahren brach Antonio zu einer Mission auf und kehrte nicht mehr zurück. Sechs Monate sp?ter verlor die Lang-Familie in einem Wettstreit buchst?blich Alles und wurde somit von der politischen Landkarte getilgt.

  über Graf Konrad Lang und seine Familie konnte ich noch weniger herausfinden. Scheinbar lebten sie im Westen des Landes. Vor gut fünfzig Jahren sah sich die Grafschaft jedoch mit dem Angriff eines Lichs konfrontiert. Die Verteidiger konnten dem untoten Rang 4 Magier und seinem Gefolge nur wenig entgegensetzen. Usenia gelang es zwar, die Gegend in einem sp?teren Feldzug wieder zu erobern, aber von der Grafschaft war nicht mehr viel übrig. Menschliche überlebende der fünfmonatigen Regentschaft des Lichs gab es mehreren Berichten zufolge keine. Wenn du also nicht durch die Zeit reisen kannst, geh?rst du zweifelsfrei der gew?hnlichen Bev?lkerung an.

  So paradox das vielleicht klingen mag, ist diese Tatsache etwas Gutes. Nur wenige Berufsfelder k?nnen ihren Kindern Lesen und Kenntnisse über fortgeschrittenere Mathematik erm?glichen. Folglich haben wir uns im n?chsten Schritt mit den Angestellten der Adligen, den Mitgliedern der gro?en Gilden, sowie deren Familie besch?ftigt.”

  Ich h?re den folgenden Ausführungen der Magierin nur bedingt zu. Der Gro?teil meiner Aufmerksamkeit gilt dem vor meiner Nase erschienenen Missionsfenster. So wie es aussieht, werde ich unsere Unterhaltung wohl mit mehr Fragen als Antworten verlassen.

  Obwohl die Sache mit dem durch die Zeit reisen offensichtlich als Scherz gemeint war, scheint es dennoch irgendeine Verbindung zwischen mir und diesem l?ngst verstorbenen Fürsten zu geben. Ansonsten h?tte mir das System diesen Auftrag ja nicht genau jetzt an den Kopf geworfen. Selbst mein Frust über die absurden Anforderungen an die Mission h?lt sich in Grenzen. Alles, was ein hohes Mindestlevel des dritten Ranges empfiehlt, ist Material für die wirklich schweren Jungs. Die Sira-Gilde mag zwar regional zu den st?rksten Gilden z?hlen, aber auch ein Marco Sira würde die Finger von solch einem Auftrag lassen.

  If you come across this story on Amazon, be aware that it has been stolen from Royal Road. Please report it.

  Selbst mit einer seltenen Spezialisierung in der Hinterhand ?ndert sich am Schwierigkeitsgrad nicht viel. Auf absehbare Zeit erwartet mich bei der Suche nach dem Tagebuch nur der sichere Tod. Trotzdem ist eine mehr oder weniger konkrete Spur ein guter Motivator für die kommenden Monate und Jahre. “Falls ich dich langweilen sollte, kannst du mir das gerne sagen”, teilt mir Rina sarkastisch mit. Ich schiebe das Chaos in meinem Kopf hastig zur Seite, entschuldige mich aufrichtig und widme Rina meine volle Aufmerksamkeit.

  Etwa eine Stunde sp?ter verlasse ich das Warscher-Anwesen wieder. Im Endeffekt konnte das Netzwerk der Adligen wie bereits erwartet nicht die Adresse meines n?chstbesten Verwandten liefern. Dennoch bin ich von meinem Tauschgesch?ft mit der Feuermagierin keineswegs entt?uscht. Rina ist sich sicher, dass ich keine Verbindungen zu den gro?en Gilden oder dem Hochadel habe. Damit wird der metaphorische Heuhaufen bereits eine ganze Ecke kleiner.

  Dennoch gibt es immer noch zahlreiche M?glichkeiten .Die Kirche nimmt beispielsweise in ihren Hochburgen im Westen des Landes jede Menge Waisenkinder auf. Für besonders talentierte Jungen und M?dchen gibt es dort sogar extra Schulen, was wiederum meinen Bildungsgrad erkl?ren k?nnte. Eine andere Option w?re, dass ich der Sohn eines sehr regional agierenden oder national eher unbekannten H?ndlers bin.

  Für beide Theorien spricht, dass in solchen F?llen meine Wenigkeit sehr einfach durch das Suchraster der Warscher-Familie rutscht. Die Kirche rückt Informationen über ihre Sch?fchen nur ungern raus und H?ndler mit einer gewissen Prise Sachverstand gibt es wie Regen zum Jahreswechsel.

  Ohne weitere Hinweise zu meiner Vergangenheit komme ich da nicht weiter. Ein hochrangiger Alchemist k?nnte mir zwar m?glicherweise etwas gegen Erinnerungslücken zusammenbrauen, aber dafür fehlen mir die Beziehungen und das Kleingeld. Somit bleibt mir erstmal nur nach dem Tagebuch von Antonio Lang zu suchen. Da verschollene Bücher aber in aller Regel nicht weglaufen, kann ich mich erstmal um meine Schulden und meine Aufgaben in der Sira-Gilde kümmern. Im Anschluss bleibt mir immer noch Zeit, um mich mit lebensgef?hrlichen Auftr?gen für hochrangige Rang 3 Abenteuer zu befassen.

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  Erst am frühen Nachmittag schaffe ich es endlich in die Stadt aufzubrechen. Mein n?chtlicher Besuch in der Bibliothek fand leider bereits drei Stunden sp?ter ein j?hes Ende. Normalerweise würde ich solche St?rungen meiner Arbeit unverzüglich mit zwei Wochen Putzdienst honorieren, doch die brisanten Neuigkeiten haben mich die Unterbrechung direkt vergessen lassen. Offenbar hat Torfbergen mit den gleichen, mysteri?sen Todesf?llen zu k?mpfen wie Turbingen. Eine überaus beunruhigende Tatsache. Der oder die Strippenzieher müssen über ein ansehnliches Netzwerk verfügen, damit sie unbemerkt ein solches Gebiet abdecken k?nnen.

  Mein Besuch in der Bibliothek war zumindest in einigen Aspekten aufschlussreich. Trotzdem fehlen mir noch zu viele Informationen, um ein klares Bild zeichnen zu k?nnen. M?glicherweise kann mir ja der Besitzer des Fuchsbaus bei dieser Problematik weiterhelfen.

  Meine übliche Kleidung habe ich für diesen Ausflug gegen ein weitaus weniger auff?lliges Gewand getauscht. Auch wenn mich einige Leute dennoch erkennen, ist der Unterschied zwischen einem offiziellen und inoffiziellen Besuch von mir enorm. Wirklich niemand in Turbingen will dem Vizepr?sidenten der Magierakademie unangenehme Fragen beantworten. Als “einfacher” Magier ?ffnen sich hingegen ganz andere Tore.

  Zielstrebig durchquere ich die Stadt und betrete schlie?lich den Fuchsbau. Bereits am Zustand der Tische und Stühle erkenne ich, dass es sich um ein recht neues Lokal handeln muss. Wenig überraschend ist zu dieser Stunde noch kaum etwas los. Die einzigen beiden G?ste würdigen mich nur eines flüchtigen Blickes und widmen sich umgehend wieder ihrer Mahlzeit. Ich nehme direkt an der Bar Platz und bestelle einen kleinen Happen. Nach einer bestenfalls mittelm??igen Mahlzeit versuche ich mit dem Barmann ins Gespr?ch zu kommen: “Sind sie auch der Besitzer dieses Restaurants?” frage ich schlie?lich. “Aye Herr Magier, es war schon immer mein Traum einmal einen eigenen Laden zu schmei?en. Das Ganze hat mich zwar die H?lfte meiner Haare und jahrelanges Ackern gekostet, aber jetzt geh?rt das Baby voll und ganz mir”, erkl?rt er stolz.

  “Mit einer Neuer?ffnung hat man es bestimmt nicht einfach”, bemerke ich. Der Mann hinter der Bar nickt zustimmend: “Der Trick ist ein guter Service und den Leuten etwas zu bieten, was sie woanders nicht kriegen. Am Wochenende kosten zwischen zehn und elf Uhr die Getr?nke zum Beispiel nur die H?lfte. Donnerstagabend spielt immer eine befreundete Musikerin für meine G?ste. Auch das Abhalten kleiner Veranstaltungen weckt die Neugierde der Kunden. Wenn man einmal das Gespr?chsthema der Leute ist, kommen die G?ste quasi von ganz allein.”

  Da der Mann mich nicht zu erkennen scheint, offenbare ich mich ihm gegenüber als Lehrer an der Akademie. “Da einer meiner Schüler von ihrem Lokal geschw?rmt hat, wollte ich mir nun selbst einen Eindruck verschaffen.” Die gute Seele hinter der Bar freut sich sichtlich über meine Geschichte. “Vielleicht erinnern sie sich ja noch an meinen Schüler. Er ist etwa so gro?, Brillentr?ger und so schlank wie eine Lauchstange. Normalerweise tr?gt er einen Umhang, der genauso schwarz ist wie seine Haare. An seiner Brust prangt normalerweise ein Anstecker mit einem Dachs darauf."

  Der Mann überlegt kurz, bevor seine Augen zu leuchten beginnen. "Ja, ich kann mich an den Burschen erinnern. Er war einer der Teilnehmer für die Verkostung des schwarzen Schmetterlings. Sch?n, dass ihm der Abend so gefallen hat.” Ich lege die Stirn in Falten: “Und um was genau handelt es sich dabei?” “Soweit ich das verstanden habe, ist es ein neu auf dem Markt erschienener Trank mit stark berauschender Wirkung. Laut dem H?ndler reicht schon eine halbe Phiole aus, um dem Alltag für ein paar Stunden zu entkommen. Der Name kommt wohl von der Farbe des Trankes, sowie dem Gefühl des Schwebens w?hrend des Rausches. Mir pers?nlich ist dieses neumodische Zeug aber nichts. Der Herr war allerdings sehr nett und auch bei den G?sten scheint der schwarze Schmetterling gut angekommen zu sein.”

  Am liebsten würde ich den Mann am Kragen packen und minutenlang anschreien. Ohne dem fraglichen H?ndler eine Bühne zu bieten, h?tten wir jetzt sicherlich ein paar Tote weniger. Eine Nachfrage sp?ter best?tigt sich, dass Graf Junior sieben Tage nach seinem Besuch im Fuchsbau verstorben ist. Ich fresse einen Besen, wenn es sich bei der geheimen Zutat nicht um Schmetterlingsstaub des Teufelsfalters handelt. Nur ein Irrer würde auf die Idee kommen damit zu experimentieren und das Resultat dann als Droge zu verkaufen. Glücklicherweise kann mir der Besitzer des Fuchsbaus die Anschrift des Verk?ufers nennen. Ich bezahle eilig meine Rechnung und breche umgehend zu meinem neuen Ziel auf. Es wird Zeit für einen offiziellen Besuch.

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